Glühsatz

Glühsatz

Der Glühsatz, oder vielmehr dessen Anwendung als Verzögerungssatz und vordere Verdämmung in Knallkörpern mit Reibzündung, ist eine Erfindung westdeutscher Pyrotechniker aus den Anfangsjahren der BRD. Dieser Satz besteht aus etwa 1 Mol Ba (NO3)2, 1 Mol S und 3 Mol C mit einem Zusatz von etwa 3% Schwarzpulver und eventuell etwas Bindemittel.

Der Einsatz dieses Satzes für diesen Zweck erfordert eine vollständig andere Arbeitsweise bei der Herstellung als bei traditionellen, kleinen zylindrischen Knallkörpern. Diese, bei unseren Nachbarn als "German Strikers" bekannten und beliebten Knaller, werden sozusagen verkehrt herum geladen. Von vorne nach hinten anstatt von hinten nach vorne, wie bei den traditionellen.

Herstellung

Historischer Anreibböller

Anhand der Herstellung eines schon lange nicht mehr im Handel befindlichen historischen Knallkörpers diesen Typs werden die Besonderheiten aufgezeigt.

Die 92 mm langen Papphülsen von 12 mm äußerem und 9 mm innerem Durchmesser werden zu je 100 Stück in Werkzeugplatten eingesteckt und sodann die Hülsenmündung unter dem Druck einer leichten hydraulischen Presse ein wenig eingezogen. Die leicht konisch zulaufende Hülsenmündung ist ein Erkennungs- und Konstruktionsmerkmal von Anreibböllern dieses westdeutschen Typs. Der Hülsenmundkonus dient als Rückhaltefläche für den durch den Abbrand des Glühsatzes entstehenden Schlackepfropfen und bildet somit die vordere Verdämmung der Hülse.

Nach dem Einziehen der Hülsenköpfe werden die Hülsen mit Hilfe von Ladebrettern volumetrisch mit etwa 1,2 g gekörntem Glühsatz als Verzögerung und mit etwa 0,3 g Kornpulver als Überzündung (Abfeuerung) gefüllt und die beiden Satzschichten dann mit Hilfe eines Stufenstempelwerkzeugs unter sehr hohem Druck einer großen hydraulischen Presse sehr stark verpresst. Diese stark komprimierte Satzschicht bewirkt eine Verzögerung von mindestens 3 Sekunden.

Nun werden die Hülsen über Füllbretter mit je etwa 2 g feinem Jagdschwarzpulver und darauf mit etwa 3 g gekörntem Blauton gefüllt. Danach wandern die Platten wieder unter eine kleine hydraulische Presse, wo die beiden Satzschichten, Blauton und Schwarzpulver, mit nur etwas mehr Druck als beim Hülsenmundeinziehen verdichtet werden. Die leicht verdichtete Schwarzpulversäule ist eine weitere Besonderheit dieser Knallkörper. Bei allen anderen okzidentalen Knallkörpern legt man stattdessen Wert auf einen großen eingeschlossenen Luftraum für eine schnelle Durchzündung. Der Blautonpfropfen bildet die untere Verdämmung der Hülse.

Der letzte Arbeitsschritt in der Herstellung dieser Knallkörper ist das Aufspritzen von etwa 0,2 g Reibkopfmasse als dickflüssiger Schlamm in den Hülsenmund, direkt auf den Glühsatz. Früher wurde diese Operation manuell mit einer Konditorsahnetüte ausgeführt.

Die historische Entwicklung des Glühsatzes

Eigentlich gehört der Glühsatz zu den schon seit über 200 Jahren bekannten, sogenannten "Grundmengungen" der Feuerwerkerei. So beschreibt Dr. Moritz Meyer in seinem 1840 erschienenen „Lehrbuch der Pyrotechnik“ unter anderem den 2-Komponenten-Satz Ba(NO3)2 + 2 S , dies entspricht einem Mol-Gewichtsverhältnis von 80,45% Ba(NO3)2 + 19,65% S. Meyer benennt diese Grundmengung als BSS-Satz,"BarytSalpeter Schwefel Satz". Dieser Satz ist kein eigenständiger Effektsatz, sondern wurde im 18./19. Jahrhundert als Zumischsatz für grüne Flammenfärbung eingesetzt.

Meyer kennt auch den 3-Komponenten-Satz Ba(NO3)2 + S + 3 C. Nach modernem atomaren Gewichtsverständnis entspricht dies einem Mol-Gewichtsverhältnis von 79,33% Ba(NO3)2 + 9,73% S + 10,94% C. Meyer findet für diesen Satz keinerlei Verwendung, da er nur sehr schwer entzündbar ist und ohne äußere Zufuhr von Wärme nicht fortbrennt. Er hätte ihn sonst als BSSC-Satz benannt. Rund 100 Jahre bleibt es still um diese Grundmengung. In der Zeit des 1. Weltkrieges kommen 3-Komponenten-Sätze aus Ba(NO3)2, Al, und S für Leuchtkugeln und "Green u. White Position Lights" in Anwendung.

Während des 2. Weltkrieges werden in Deutschland eine noch nie da gewesene und danach nie wieder erreichte Vielfalt an pyrotechnischen Effektkörpern und Sätzen entwickelt und in fast unvorstellbaren Mengen produziert und verbraucht. Dementsprechend umfangreich war auch die Forschung auf diesem Gebiet. So wurde bei der Firma Berckholz ein Anzündsatz für Signalsterne bestehend aus 58,6% Ba(NO3)2 + 5,8% C + 5,8% S + 5,8% Al + 14,5% Schwarzpulver + 7,4% Schellack + 2,9% Dextrin entwickelt und verarbeitet. Besonders bei der Suche nach neuen Anzündsätzen lernte man die besonderen Eigenschaften des alten BSSC-Satzes kennen. Als Anzündsatz für „Landungsrauchzeichen“ kam dann ein Satz von 67,5% Ba(NO3)2 + 9,5% S + 5% C + 15% Schwarzpulver + 3% Methylcellulose zum Einsatz. Bei der Verbrennung dieses Satzes entsteht BaSO4. 1945 findet man dann eine Mengung von 85% Schwarzpulver + 15% BaSO4 als Anzündsatz für tablettierten Rauch beim „Rauchsichtzeichen 80“. Noch im Jahre 1962 lassen sich die Gebrüder Bock in Trappenkamp einen Anfeuerungssatz bestehend aus 70% Schwarzpulver + 30% BaSO4 patentieren, der in Knallern, Heulern, Schwärmern usw. in Form eines vorgepressten, leicht konischen, stopfenartigen Bauteils als Anfeuerung und Verzögerung eingesetzt werden sollte.

Nach dem 2. Weltkrieg erinnerten sich westdeutsche Pyrotechniker an die besonderen Eigenschaften des BSSC-Satzes und entwickelten daraus den Glühsatz und die Modalitäten zu seiner Verwendung als Verzögerungssatz in neuartigen Anreibknallern zur Freude von Millionen junger Europäer. Vergleicht man das Mol-Gewichtsverhältnis der alten pyrotechnischen Grundmengung Ba(NO3)2 + S + 3 C mit modernen Firmenmischungen, unter Weglassung des Schwarzpulvers und eventueller Bindemittel, so stimmen diese in sehr engen Grenzen überein. Wie bei jedem pyrotechnischen Satz gehört eine letzte Optimierung oder fine tuning anhand der zur Verfügung stehenden Rohmaterialien zur Entwicklung für seinen speziellen Einsatzzweck. Besonders die Holzkohle stellt ein extrem wandelbares Rohmaterial dar, und durch die Auswahl der Holzkohleart(en) alleine entstehen dann schon kleine Unterschiede in der eingestellten Satzmischung im Vergleich mit der alten Grundmengung.


Die bläulich-weiße, kaum sichtbare Flamme des abbrennenden Glühsatzes und sein eigentümlicher, schwefliger Geruch gehören zu meinen unvergesslichen Kindheitserinnerungen.

Text von Benutzer [Pyromartin]

Bibliographie

  1. Dr. Moritz Meyer : „Lehrbuch der Pyrotechnik“, Berlin, 1840
  2. Alliierte Technische Spionageberichte über die deutsche Industrie, veröffentlicht nach dem Kriege als BIOS und CIOS Reports. (British Intelligence Objectives Sub-Committee und Combined Intelligence Objectives Sub-Committee)
  3. Patentanmeldung P.A. 697836 vom 2.11.1962, Gebrüder Bock, Trappenkamp